Zusammenfassung
(ein Meinungsbeitrag von Kellyn Botha)
Dieses Jahr sind viele von uns jedoch stark daran gehindert, sich im wahrsten Sinne des Wortes zu outen und in der Öffentlichkeit sichtbar zu sein. Während ich dies von meinem Zuhause in Südafrika aus schreibe, einem Land, das sich kürzlich vielen anderen angeschlossen hat und im Zuge der anhaltenden Covid-19-Pandemie einen umfassenden „Lockdown“ verhängt hat, kann ich nicht umhin, von der Ironie des Ganzen beeindruckt zu sein. Ausnahmsweise scheint jedoch ein großer Teil unserer Unsichtbarkeit als Transsexuelle etwas zu sein, was wir zum Wohle der Allgemeinheit tun müssen, da wir unsere Freiheiten und Annehmlichkeiten für diejenigen aufgeben, die am stärksten von diesem Virus bedroht sind.
Dass ich als Transfrau davon betroffen sein würde, wurde mir erstmals in einer SMS der Klinik für Laser-Haarentfernung bewusst, die ich jeden Monat besuche. Darin stand, dass „eine wachsende Zahl von Menschen weltweit betroffen ist, darunter auch Ausbrüche in Südafrika, und wir es daher für ratsam halten, die Praxis bis auf Weiteres zu schließen.“ Viele Transfrauen und transfeminine Personen kennen den tiefen Schmerz der Dysphorie, der mit störrischem Gesichtshaar einhergeht, und die Angst, dass ein bisschen Stoppel, den der Rasierer verfehlt, zu unerwünschter öffentlicher Aufmerksamkeit führt. Aber letzten Endes erkenne ich das immense Privileg an, das ich persönlich genieße, weil mein schlimmstes Problem ein bisschen zusätzliches Haar sein kann. Die Laser-Haarentfernung kann warten. Die Belastung, die die Geschlechtsdysphorie für meine psychische Gesundheit bedeutet, kann warten. Menschen sterben.
Ich habe vor kurzem mit einer anderen Transfrau gesprochen, die sich erkundigte, wie sie die psychologische Untersuchung und die ärztlichen Rezepte umgehen könne, die ihr vorgeschrieben waren, um Hormone aus der Apotheke zu bekommen, bevor in unserem Land strengere Lockdown-Maßnahmen durchgesetzt wurden. Sie ist eine von unzähligen Transsexuellen auf der ganzen Welt, die sich Sorgen darüber machen, was die Belastung der medizinischen Einrichtungen und die Durchsetzung der Lockdown-Maßnahmen für ihren Zugang zu Hormonen bedeuten könnten. Ich riet ihr, dass es in diesen unsicheren Zeiten gefährlich sein könnte, einen medizinischen Eingriff zu überstürzen, und dass sie warten sollte. Menschen sterben.
Überall auf der Welt wurden geschlechtsangleichende Operationen aufgeschoben, um Sterilität und eine angemessene Gesundheitsversorgung in Krankenhäusern zu gewährleisten und die Ressourcen auf die wachsende Zahl der Covid-19-Fälle zu konzentrieren. Hier in Südafrika war ein junger Transmann, den ich kenne und der schon seit einiger Zeit auf seine Brustoperation wartete, verzweifelt, weil er das möglicherweise aufschieben musste, bis all dies vorbei ist. Aber es kann auch warten. Menschen sterben.
Doch nicht nur das Leben und die Feierlichkeiten von Transsexuellen mussten auf Eis gelegt werden. Mindestens 120 Pride-Feiern wurden weltweit abgesagt oder verschoben, von Kapstadt bis Krakau, von Miami bis Manila. Sogar auf den winzigen Cookinseln im Pazifik, wo am 27. März die erste Pride-Veranstaltung des Territoriums hätte stattfinden sollen, konnte nicht gefeiert werden, da die dortige Regierung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit eine Begrenzung der Versammlungen vorschlug.
Heute jedoch bin ich nicht mutlos angesichts der Situation, mit der wir konfrontiert sind, sondern feiere die großen Fortschritte, die die Trans-Community im letzten Jahr gemacht hat, von der letztjährigen Aktualisierung der Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-11), die Transidentitäten nicht länger als Geisteskrankheiten klassifiziert, bis hin zur Aktualisierung der Richtlinien der American Psychological Association, um mehr Inklusion zu erreichen. In Japan könnte ein Gesetz, das es Transfrauen erlaubt, die Toilette ihrer Wahl zu benutzen, im ganzen Land einen positiven Präzedenzfall schaffen. In Israel, Chile, Brasilien, Schottland, Pakistan und anderen Ländern wurden neue Gesetze vorgeschlagen oder verabschiedet, um es Transpersonen zu erleichtern, ihren Namen und ihr Geschlecht legal zu ändern oder medizinische und psychologische Dienste in Anspruch zu nehmen. Unterdessen werfen verschiedene Forschungsprojekte aus allen Regionen weiterhin Licht auf die Lebenswirklichkeit von Transpersonen und ermöglichen eine wirkungsvollere Interessenvertretung und Menschenrechtsarbeit, um unsere Gemeinschaften weiter zu stärken.
Leider gab es auch Rückschläge: In den USA werden Anti-Trans-Gesetze vorgeschlagen und verabschiedet; Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts werden in Neuseeland und Großbritannien blockiert; in Indien sind Prozesse ins Stocken geraten und in Singapur wurden sie verschärft. Alles in allem gibt es jedoch viel Grund zum Feiern, wenn man heute zu Hause sitzt.
Also warte ich – wir warten –, denn Transgender zu sein bedeutet mehr als ein paar medizinische Eingriffe in unseren Körper und Sichtbarkeit bedeutet mehr als Transparente zu schwenken und Musik auf der Straße zu spielen. Indem wir drinnen und aus dem Weg bleiben, stellen wir sicher, dass ältere Menschen, Menschen mit geschwächtem Immunsystem und Menschen mit bestehenden Atemwegserkrankungen vor der raschen Ausbreitung des Virus geschützt sind. Wir stellen sicher, dass Mitarbeiter des Gesundheitswesens, Lebensmittelverkäufer und die unzähligen anderen Menschen, die die Welt in dieser Zeit am Laufen halten, nicht überfordert werden.
Die Auswirkungen auf die psychische Gesundheit unserer Gesellschaft sind enorm. Die Menschen wurden ermutigt, regelmäßig nach ihren Lieben zu sehen, um das wachsende Gefühl der Isolation zu lindern, während einige Berater und Psychologen ihren Patienten erlauben, ihre regelmäßigen Sitzungen per Video- oder WhatsApp-Anruf aufrechtzuerhalten. Bei ILGA World haben wir eine Initiative gestartet, um digitale Postkarten zu veröffentlichen – unterstützende Botschaften an die in Isolation festsitzenden Menschen – um diejenigen, die in dieser Zeit zu kämpfen haben, daran zu erinnern, dass sie nicht allein sind.
In einer Welt, die von kapitalistischem Konsum und dem Schutz des Einzelnen über alles getrieben wird, macht es mir Mut, so viele Menschen aus so vielen unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen zu sehen (bildlich gesprochen – wir müssen schließlich soziale Distanz wahren!). Ja, es gibt die Panikkäufer, die Internet-Trolle und jene Politiker, deren Untätigkeit die Öffentlichkeit gefährdet, aber ich glaube, sie sind in der Minderheit. Das Gefühl der Einheit und des Mitgefühls für die Schwächsten in unserer Gesellschaft ist greifbar. Zwischen dem medizinischen Personal, den Freiwilligen in Altenheimen, denen, die verlassene Tiere pflegen, und denen, die in dieser Zeit positive Kunst und Medien schaffen, habe ich wirklich das Gefühl, dass wir #InThisTogether sind. Eine solche Kameradschaft ist in unserer modernen Welt selten.
Das bringt mich dazu, mir Gedanken über die Zukunft zu machen. Ich betrachte mich nicht gerne als Pessimist, und es ist in diesen Zeiten wichtig, an jedem Funken Glauben und Hoffnung festzuhalten, den wir finden können. Aber während ich das Privileg habe, mir nur Gedanken darüber zu machen, wann mein nächster Termin zur Laser-Haarentfernung ist, sind viele Transsexuelle mit schlimmen Umständen konfrontiert. Menschen sterben – aber sie sind schon gestorben und ich fürchte, sie werden auch weiterhin sterben.
Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2020 wurden weltweit mindestens vier Transsexuelle Opfer transphober Gewalt und machten damit internationale Schlagzeilen. Dies sind nur die Fälle, die am häufigsten publik gemacht wurden. Die tatsächlichen Zahlen werden wir nie erfahren. Eine der Getöteten, Nare Mphela, kannte ich. Ich hatte 2017 die Gelegenheit, sie kurz zu treffen und zu interviewen, nachdem sie einen Diskriminierungsprozess gegen das Bildungsministerium gewonnen hatte. Und jetzt ist sie tot. Eine andere Transaktivistin, die ich kannte, Leigh Davids, starb letztes Jahr an einer Krankheit, was das Leben vieler Menschen in meinem Land erschütterte. Die meisten Transsexuellen kennen jemanden, der jetzt tot ist. Wenn nicht aufgrund schrecklicher transphober Gewalt, dann aufgrund fehlender angemessener Unterkunft, fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung oder fehlender Unterstützung im Umgang mit psychischen Erkrankungen und sozialer Isolation. Diese Probleme werden sich in Zeiten wie diesen, in denen die wenigen Strukturen, auf die sich Menschen mit unterschiedlichen Geschlechtsidentitäten und sexuellen Orientierungen verlassen, für die Dauer der Pandemie geschlossen sind, wahrscheinlich nur noch verschärfen.
Deshalb fordere ich an diesem Transgender Day of Visibility die Öffentlichkeit auf, Transgender-Menschen ihr Mitgefühl entgegenzubringen. Dieser Appell richtet sich nicht nur an unsere Freunde, Familien und Verbündeten: Diejenigen, die uns noch nicht so gut kennen, müssen ihn hören. Diejenigen in der Regierung, die Gesetze gegen unsere Existenz erlassen würden, müssen ihn hören. Zeigen Sie Ihr Mitgefühl. Wir alle müssen jederzeit auf einander aufpassen, nicht nur während der Covid-19-Krise.
